Bordeaux 2015 – eine Jahrgangsbetrachtung mit zwinkerndem Auge (Tag 1)

12.04.2016

Messen > Bordeaux en primeur

Nun war es also soweit, der 2015er Bordeauxjahrgang wurde zwischen 04. und 08. April der weltweiten Händlerschaar vorgestellt. Schon vorab hörte man, so kennt man das aus Bordeaux, nur Gutes. Endlich mal wieder ein großer Jahrgang, nahe am Jahrhundertjahrgang, tönte es von den Ufern der Gironde – und meinem Händlerherz wurde dabei eher bang.

Vor der weiteren eingehenden Schilderung daher die Entwarnung: keine Angst, es wird kein Jahrhundertjahrgang. Der Jahrgang ist gut, streckenweise sehr gut, aber eher heterogen – sowohl über die einzelnen Appellationen, als auch innerhalb der einzelnen Anbaugebiete. Überraschend war, dass gerade das nördliche Médoc, welchem von Beginn an wegen unpassender Regenfälle eher mindere Qualität angedichtet wurde, sehr schöne Weine hervorbrachte, während Pomerol und St. Julien eher abfielen. Oft war das Tannin – man sprach zwischenzeilig auch vom „millesime de tannin“ – derart vordergründig, dass die Frucht davon nahezu völlig verdeckt war. Das ging bis dahin, dass in manchen Weinen überhaupt keine Frucht, für mich quasi das Herz des Weines, zu erkennen war. Schwer vorstellbar, wie sich diese überdominante Struktur mal zu einem Genuss fügen soll.

Ein Teil unseres Team war bereits am Samstag angereist, der Rest folgte am Montag Nachmittag. Die frühen Vögel besuchten am Sonntag Nachmittag eine große Verkostung bei einem Negociant im Médoc. Die Ergebnisse dieser Verkostung, verglichen mit den Eindrücken der späteren Woche, sind oft sehr unterschiedlich, ich werde bei den Verkostungsnotizen der einzelnen Weine darauf eingehen.

Am Montag Vormittag war die Vorhut auf Haut Brion und Haut Bailly. Beide mit reichlich überzeugenden Ergebnissen. Eigentümlich hervor stachen der weiße Haut Brion (hier schien Schluckzwang zu herrschen) und der Zweitwein von Haut Bailly (Parde de Haut Bailly). Dem Thema Zweitwein scheint in diesem Jahr besonderes Augenmerk zuzufallen: da die Traubenqualität auf den Gütern mit gutem bis sehr gutem Ergebnis sehr homogen war, wurde auf einigen Chateaux auf den Zweitwein komplett verzichtet. Wurde ein "Deuxieme Vin" erzeugt, ist dieser fast ausnahmslos qualitativ sehr nah am Erstwein; das könnte preislich interessant werden.

Spazierfahrt durch die Appellationen – Dienstag 05. April – Pomerol und St. Emilion

1. Pomerol

Wie jedes Jahr, begann unsere Verkostungstour in Pomerol. Der Startschuss fiel in diesem Jahr auf der auf Chateau Beauregard beheimateten UGC-Verkostung. Der "neue" Keller von Beauregard hinterließ einen eher ungemütlichen Eindruck: schlotartige Betonfermenter, umgeben von großformatigen Schwarz-Weiß-Fotografien, das alles mutete ein wenig wie die Gedenkstätte eines Krematoriums an, jedenfalls alles andere als einladend.

Nun sagt man ja immer, das Auge isst mit, vielleicht trinkt es auch mit und so gab es hier im Durchschnitt die wenigstens Punkte der gesamten Woche. Selbst die heimlichen Stars der Appellation wie Clinet und Gazin waren derart straff in der Struktur und gleichzeitig derart feingliedrig im Volumen, das mir das Herz eher in die Hose rutschte: wenn das so weitergeht, wird es eine harte Woche. Ausnahmen, wenn auch mit maximal 15,5 von 20 Punkten: La Cabanne, Bon Pasteur und La Pointe – also eher die zweite Liga.

2. Zwischenstop bei Vieux Chateau Certan: wie immer etwas „more sophisticated“, in der Nase fast burgundisch rotfruchtig, auf der Zunge dann aber eher eindimensional. Zwar sauber gemacht, aber mit wenig Spiel. Ein sanft schlafender Riese? Bei einem pH-Wert von 3,72 und einem IPT von 83, hinzu noch, wenigstens für VCC eher grob geratene Tannine: da bleibt die Frage, wie lange der Riese überhaupt schlafen kann. Fazit: ein reichlich ungewöhnlicher VCC, der seinen sonst üblichen aristokratischen Stil derzeit etwas vermissen lässt.

3. St. Emilion: Die Verkostung der Unlon des Grands Crus de Bordeaux für Saint Emilion fand in diesem Jahr auf Chateau Couspaude statt. Im Gegensatz zum schlichten und modernen "Charme" auf Beauregard, herrscht hier noch althergebrachter Dunkelholzschick, der einen automatisch den Kopf einziehen lässt.

Die Weine zeigten sich reichlich durchwachsen: zwischen 13 Punkten mit grenzreifen Cabernets, die sich hinter einem wahren Bretterzaun zu verstecken scheinen, via maximal bis übermaximal extrahierte Bomben bis hin zu einigen wohlfeinen Ausreißern nach oben mit 16,5 und 17 Punkten war alles vertreten. Favorisieren würde ich den gut balancierten La Dominique, der trotzdem er an der oberen Grenze der zuträglichen Extraktion lag, genug Fleisch am Knochen hatte, um seinem wuchtigen Alkohol entgegen zu stehen – hier war alles vorhanden, was später mal zusammenfinden muss. Überraschend gut waren auch Chateau Soutard und Troplong Mondot (beide 16,5/20), gefolgt von Grand Mayne und Cap de Mourlin – beide auch eher in der wollüstig barocken Art. Enttäuschend hingegen Larcis Ducasse und für seine Klasse auch Ballestard La Tonelle.

Also auch hier eher die "Underdogs", denn die ganz großen Namen; und so langsam begann sich die Vermutung eines Musters zu formen.

4. Nächster Stop - Cheval Blanc: vorab schon als einer der Könige des Jahres gekürt, gebricht es einem nicht an Ehrfurcht. Das kleine Pferd bleibt in diesem Jahr im Stall, sprich es gibt keinen Zweitwein; Begründung: das Lesegut war allenthalben so gut, dass es qualitativ nach oben keinen Platz neben dem Grand Vin gegeben hätte. Sei’s drum.

Das große Pferd kann dann aber wirklich etwas und ist nicht ganz zu Unrecht sehr weit oben eingeordnet. Herrliche Balance, seidige Tannine, frisch und kühl im Typus, bereits jetzt reife Noten, die einem aber keine Sorgen machen, da eine gut eingebundene Säure für ein langes Leben sorgen wird. Gut gewiehert und durchaus im 19 Punktebereich.

Das ebenso in den Stall gehörende Chateau Yquem wird traditionell auf Cheval Blanc präsentiert - auch wenn es diesen Wein nicht en Primeur gibt. Der richtige Überwein war der 15er Yquem dann aber leider auch nicht. Zu breit, zu wenig Spiel und es fehlt dieser herrlich volatile Aromenreigen, der einem vermittelt, Engelchen tanzten auf der Zunge. Das warme und reichlich trockene Wetter hat hier leider – jedenfalls von heute aus betrachtet – eine Wuchtbrumme produziert; freilich auf sehr hohem Niveau gejammert.

4. Nächste Runde: Moueix in Libourne. Auch hier dunkles Holz, brauntönige, monströse Ölgemälde von den schweren Lehmboden bearbeiteden Ochsen – ein Kontrast der Extraklasse zum „fliegenden Pferd“. Moueix ist im Vorfeld in einem Interview mit James Suckling mit der Behauptung aufgefallen, den größten Jahrgang seit 1961 produziert zu haben; wenigstens, was seine Flaggschiffe angeht (https://youtu.be/1mpFNSg4z0Q) – und auch nicht richtig, aber so irgendwie schon. Dieser interessante Schlingerkurs wird noch mehrfach auffallen.

Die Treppe zum Himmelreich dieser vier Flaggschiffe – bekannt als Hosanna, Belair-Monange, Fleur-Petrus und Trotanoy – ist steil und anstrengend. So auch viele der kleinen Moueixweine, die oft durch sehr dominantes Tannin brillierten, die Frucht verschluckend und die Mundschleimhäute nahezu geißelnd. Positiv aufgefallen sind uns Chateau Plince, La Grave, Latour a Pomerol, gerade auch vor dem Hintergrund der vormittäglichen Pomerolverkostung. Hier war neben dem deutlichen Tannin, Stoff, Frucht und Extrakt(-süße) spürbar.

Die Moueix-Saint-Emilion-Weine waren für meinen Geschmack durch die Bank zu stark extrahiert. Das gilt bedauerlicher Weise bis hinauf zum Bélair-Monange - in den letzten Jahrgängen an sich eine sichere Bank, gerade auch seit der Einverleibung von Chateau Magdelaine. Als 2015er wirkt er allerdings angestrengt und alkoholisch, die Tannine stumpf. Keine Freude.

5. Letzter offizieller Punkt für diesen Montag: Chateau Tertre-Roteboeuf. Abseits von Pomp, Getöse und auffälligen Hostessen – ein Weingut, ein Keller, der diesen Namen verdient: dunkel und kalt. Und natürlich Francois Mitjaville. Der Herr des Hauses. Die Verkostung ist unaufgeregt, aber dennoch beeindruckend – es geht also doch. Die Weine von Mitjaville kommen alle von eigenen Terroirs, es gibt also keine Zweitweine.

Als erste probieren wir den L’Aurage, Côtes de Castillon: kraftvoll, voluminös, von durchgehend dunkler Frucht und gut eingebundenem Tannin: 17/20 Punkte (vor allem vor dem zu erwartenden Preis).

Domaine de Cambes: eine hervorstechende Preiselbeerfrucht, relativ wuchtig gehalten, angenehme pfeffrige Würznoten, aber etwas wenig Spiel im Moment. Hat mir und dem Rest des Verkostunggeschwaders aus der Mitjaville-Riege am wenigsten gefallen. (16/20)

Roc de Cambes: Eukalyptus und Old Spice in der Nase. Auf der Zunge ein sehr feingeschliffenes Tannin, gute Balance zwischen Holz, Frucht und Säure. Leider etwas kurz, daher nur 17/20 Punkten.

Tertre Roteboeuf: Direkt aus dem Barrique verkostet. Rauchig, voll, schier endlos lang, viel Spiel, fast tänzelnd, eine formidable Harmonie der einzelnen Komponenten, den Mund ölig kleidend, Tannine fein gemörsert. 18,5/20 Punkte und in seiner Klasse wohl einer der Tops des Tages. Ein exzellentes Ende eines wahrlich anstrengenden Primeutages.

Jörg Ilgen - 12/04/16

Ihr Warenkorb

Gesamtsumme (inkl. MwSt) 0,00
Zur Kasse
Gesamtsumme (inkl. MwSt) 0,00

 

Hinweis: Es kommen an der Kasse ggf. noch zusätzliche Kosten für Versand und Verpackung hinzu.