Bordeaux 2012 - erster Kurzbericht

01.05.2013

Bordeaux

Kleines Vorwort: ich bin extrem spät dran mit meinen Bewertungen und Berichten zum Jahrgang 2012. Neben den üblichen Unwägbarkeiten des Arbeitslebens ist dies hauptsächlich darin begründet, dass die Kampagne schon begann, bevor ich überhaupt den ersten Strich geschrieben hatte. Am Samstagnachmittag aus Bordeaux zurückkehrend, hatte ich zwar im Zug bereits angefangen, Weine zu beschreiben, allerdings brach am Montag in der Früh mit Gazin als erste große Nummer bereits die Welle los. Daher möchte ich mich entschuldigen, dass ich der Entwicklung deutlich hinterher hechel. Und nun also: Die kurze Zusammenfassung einer Verkostungswoche in Bordeaux. Für mich war der 2012er der erste en-Primeur-Jahrgang, den es ganz ohne erfahrene Schützenhilfe zu verkosten galt – also kein Kretschmer, kein sonstiger Mentor. Immerhin aber jemand mit dabei, der die Theorie bis ins FF beherrscht, jeden Kellermeister beim Vornamen kennt und offensichtlich auch noch das Lieblingsfutter des Hofhundes. Nebenbei natürlich Bordeauxsüchtig – sowohl Land und Leute als auch Wein, mehrfach en-Primeur erfahren: Christian Schön, Internist aus einer schönen Stadt zwischen Ulm und München. Internet und Navigationssystem unnötig! Trotz dieser Hilfe hatte ich etwas Bammel. Was man bis dato über den 2012er gehört hatte, war nicht sonderlich ermutigend. Das Wetter war kapriziös: kalter bis kältester Winter seit Jahrzenten, der Frühling war mitteleuropäisch verregnet, der Sommer dann extrem trocken, der wichtige Spätsommer wieder fäulnisfördernd feucht und um die Ernte des Cabernet Sauvignons herum ab Ende September/Anfang Oktober dann verregnet. Die Hölle für eine gemütliche Pflanze wie einen Weinstock, gerade dann, wenn er Höchstleistungen bringen soll, die Hölle für die Weingüter. Haut-Bailly brachte seinen kompletten Cabernet innerhalb eines Wochenendes ein. Auf die Frage, wie man ad hock so viele Leute zur Ernte heranzieht, meinte Gabriel Vialard: „Wir haben’s da noch gut, die Leute wissen, dass wir gut kochen und kommen, meist aus der direkten Umgebung, gern, wenn wir sie anrufen – aber 2012 war schon sportiv.“ Kleinere Weingüter, gerade im oberen Médoc, das relativ weit von den Wohnstätten vieler Studenten ohne Auto liegt, hatten wohl echte Personalprobleme. Probleme also beim Cabernet (beim würzigen Bruder Cabernet Franc übrigens auch), was den Merlot in der Erstwahrnehmung zum Favoriten macht und wir also mit dem Gefühl nach Bordeaux reisten, dies müsse ein eindeutig rechtslastiger Jahrgang werden. Im Laufe der Woche stellte sich allerdings heraus, dass es nicht ganz so einfach ist, wie rechts gut, links schlecht. Pomerol vorn dabei, meinerseits ein wenig subjektive Probleme (ich mag Pomerol nicht sonderlich – Mentorenvermächtnis), die aber zumeist qualitativ ausgeglichen wurden. Pessac auch über dem Durchschnitt, aber schwer zu verkosten, die Weißweine über die Strecke hervorragend. Saint Emilion enttäuschte breit, was erstaunlich war. Die kleineren Gebiete am rechten Ufer überzeugten mit wenigen Ausnahmen nicht – reichlich heterogen für die Erwartung. Am linken Ufer ein ähnliches Bild: Margaux für mich die linke Appellation des Jahrgangs, je weiter man im Médoc nach Norden vordrang, desto uneinheitlicher wurden die Verkostungsergebnisse. Pauillac im Gesamtergebnis bemüht, aber oft blieb es dabei. St. Estèphe mit einigen Ausnahmen fernab von Wahrheit. St. Julien, zu viel gewollt, zu lange extrahiert – von einigen positiven Ereignissen abgesehen: Holzmonster mit wenig Finesse – Schade! Moulis und Listrac hatten wohl mit Sauternes und Barsac das schwerste Los. Müsste ich jetzt Lieblingsweine aus den rund 300 verkosteten Mustern nennen, so blieben ironischerweise doch überraschend viele Médoc-Weine im Finale, wobei die folgende Aufzählung noch keine Wertung untereinander bedeutet: Margaux, Pontet, Palmer, die zwei Rauzans, du Tertre, Gruaud Larose, Langoa Barton, …. Pomerol führte für mich Vieux Chateau Certan an – erstaunlich eigenständig, erstaunlich gut und mit der erstaunlichen Aussage „2011 ist besser als 2012, weil wir Cabernet Franc lieben“ bleib Thienpont der Winzer mit der größten Bodenhaftung, den ich im ganzen Bordeaux-Zirkus kenne, einfach positiv haften. Mit im Finalfeld: Clinet, La Conseillante, Petit-Village, La Pointe und zwei, drei Weinen aus der Moueix-Familie (Fleur Petrus, Providence, de Sales), die einen eigenen, durchaus gelungenen Stil fahren, aber nicht uniform waren. Die Pessacs führen die Haut-Brions an (league of its own). Dann lange nichts, dann dicht gedrängt Haut-Bailly, Carmes Haut Brion, Pape Clement, Fieuzal, Domaine de Chevalier – aber allesamt anstrengend zu verkosten. Eine schöne Ausnahme war Château Seguin, gefunden auf der Cercle de Rive Gauche. St. Emilion: ehrlich gesagt, wahrscheinlich zu wenig Weine verkostet, weil zu lange auf der „Angelus-Verkostung“ auf Fleur de Boüard hängen geblieben und dann die UGC verfehlt. Dafür gab es nette Querschläger von der Primeurs Bio – naja. Mein Favorit war eindeutig Carillon d’Angelus, schwer zu sagen, warum ich den großen Bruder nicht beeindruckend fand; dann Bellevue, Clos des Jacobins und Belair-Monagne und im Budget-Bereich: la Serre und Juguet; die letzen 3 aus dem Moueix-Stall. Die Jungs hatten’s gut drauf im 2012er Jahrgang; ansonsten ziemlich viel rohes Holz und wenig Freude. Satelliten und Streutreffer. Gefallen hat mir überdies: La Fleur de Boüard und der große Bruder Le Plus de la… (Lalande de Pomerol); Vieux Chateau Palon, Despagne-Rapin mit dem Top-Cuvée Louis Rapin (Montagne St. Emilion); Cambon la Pelouse (Haut-Médoc), Branas Grand Poujeaux (Moulis, also doch einer!), Quintus, das St. Emilion-Experiment von Haut-Brion, Rollan de By (Médoc),La Croix Davids (Bourg). Die Weißweine waren, wie bereits erwähnt, fast alle gut bis sehr gut – quer durchs ganze Gebiet. Hervorragend wieder der weiße Haut-Brion, die Pessacs, aber auch im Médoc fast durchgehend formidabel. Hier kann man in diesem Jahr fast nichts falsch machen. Komplettausfall: die Süßweine aus Sauternes und Barsac. Einige Weingüter haben entweder gar nicht oder keinen Erstwein produziert. Nach Regen kommt auch wieder Sonnenschein – oder andersrum. Fazit: Merlot-Last schafft Gaumenfreude, aber auch nicht immer. Denn wie Kollege Schön auf Cos so schön folgerte: „Die Merlots bringen halt nichts, wenn sie auf den schlechten Terroirs gepflanzt sind.“ Sie bringen auch nichts, wenn sie überextrahiert sind und die Weine schmecken, wie querliegende Zaunlatten. Das Wort selektiv habe ich in den vergangenen Jahrgängen zu oft gehört, es beschreibt aber wohl den Grund, warum man die Reise nach Bordeaux überhaupt antritt. Man geht dort hin, um seine Selektion zu treffen. Diese wird dieses Jahr wohl rigoros sein müssen – sprich, wenn am Ende 30 gute Weine, die es wirklich gibt, herauskommen, könnte das eine gute Selektion sein. Wenn die Preise fallen, wie es sich derzeit abzeichnet, könnte dabei am Ende ein Bordeauxjahrgang entstehen, der Spaß macht und der endlich auch wieder für Menschen, nicht nur für Spekulanten gemacht ist, der aber alle Möglichkeiten genutzt hat, die die moderne Vinifikation bereithält. Vielleicht etwas technisch, aber durchaus mit Größe.

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