Bordeaux 2015 – eine Jahrgangsbetrachtung mit zwinkerndem Auge (Tag 2)

14.04.2016

Messen > Bordeaux en primeur

Spazierfahrt durch die Appellationen – Mittwoch, 06. April 2015 – St. Julien, Pauillac, St. Estephe

Der Tag beginnt mit strahlendem Sonnenschein, der geneigte Verkoster spricht dabei von gutem Verkostungswetter.

1. Die erste Verkostung: UGC von Saint Julien auf Chateau Gruaud Larose. Auf dem Anwesen muss sich ein Architekt mit einer Vorliebe für Tetris ausgetobt haben, hat er dem Chateau im Vorgarten doch einen riesigen, silbernen L-förmigen Bau hinterlassen, dessen lange Seite in den Himmel ragt und einen Aussichtsturm bildet. In der kurzen Seite befinden sich die Räume, in den die Präsentation stattfindet; klare Linien auch hier. Eine besonderes „Feature“ während der Verkostung: die Spucknäpfe wurden alle 2 Minuten mit einem in Zimtwasser getränktem Schwämmchen geputzt, da macht ausspucken nochmal so viel Spaß.

Und apropos Spaß und Spucken: eine wahre Freude waren die St. Juliens in diesem Jahr nicht. Das inzwischen bekannte Phänomen der abwesenden Frucht, dazu erhebliche Säure und sehr schlanke Körper. Und das bedauerlicher Weise bis zu Leoville Poyferre hinauf– vergebene Maximalpunktzahl: 16/20 Punkten. Und wiederrum die Underdog-Theorie: Güter wie Gruaud Larose, Beychevelle und Branaire Ducru wurden mit 13-14 Punkten bewertet. Die zweite Garde à la Lagrange (gute Harmonie mit angenehmen Fruchtherz bei mittlerer Länge und feiner pfeffriger Paprikanase), Talbot (vielschichtige Nase zwischen floralen Noten und ledrigen Anklängen, würziger Mittelbau, vergleichsweise lang und dicht, Säure gut eingebaut) und Saint Pierre erhielten jeweils 16 Punkte. Letzterer, an sich ja ein Chateau, das man selten auf dem Schirm hat, überzeugte mit seiner Kaffeenase, seiner frischen, animierenden Säure, feinen Röstnoten und einem insgesamt kompakten Bau mit einem grünen Streifen in der Mitte, der Leben in die Konstruktion bringt; in der Nachverkostung Tendenz zu einem halben Punkt mehr. Einzige Ausnahme aus der Underdog-Theorie: Leoville Barton; aber auch nur mit 16/20 Punkten, in der Nachverkostung ebenfalls etwas mehr, aber eher hinter den Erwartungen.

2. Weiter gen Norden, weiter auf die Doppelverkostung der UGC für Pauillac & St. Estephe, in diesem Jahr auf Lafon-Rochet. Am Rande erwähnt, die erste Verkostung, die richtig voll war; alles in allem hatte man das Gefühl, dass die angeblich 5000 angemeldeten Fachbesucher, etwas hochgegriffen waren. Den Höhepunkt an Leere stellte die UGC-Verkostung von Graves & Pessac dar – hier waren wir über lange Strecken die einzigen Gäste. Das habe ich so ehrlich noch nicht erlebt, in den Jahren zuvor war gefühlt deutlich mehr los – und ob das nun am neuartigen „Silent-Tasting“ im Stadion von Bordeaux lag (a href="http://www.jancisrobinson.com/articles/bordeaux-primeurs-tastings-shrunk" target="_blank" title="Artikel zu den diesjährigen en Primeurverkostungen von Jancis Robinson">Artikel hierzu von Jancis Robinson), wage ich zu bezweifeln.

Wie anfangs bereits kurz angeschnitten, wurden die nördlichen ACs des Medocs etwas vorverurteilt. Für mich (uns) hat sich dieser Eindruck nicht bestätigt. Im Großen und Ganzen waren die Weine aus Pauillac und St. Estephe warmtöniger und voluminöser als gedacht, verglichen mit St. Julien waren sie für mich nahezu wohltuend. Und gerade in Pauillac gab es eine gute Anzahl von Weinen zwischen 16 und 18 Punkten. Favorit war für mich der Pichon Baron. Mit einer betörend schönen Waldbeernase zog er mich in den Bann. Zwar ist das Fruchtherz derzeit noch recht eng von den gut polierten Tanninen umschlungen, es hat aber genug Kraft, um dagegen zu bestehen, das Korsett irgendwann zu sprengen. Im Abgang blitzt nochmals ein süßes Fruchtschwänzchen auf – hier wird in 10-15 Jahren alles gut. Dafür gab es von mir 18 Punkte. Bei der Nachverkostung direkt auf dem Chateau, machte der Herr Baron einen noch weicheren und aufgeschlosseneren Eindruck als auf der UGC… 18,5?

Ebenfalls betörend schön fand ich d’Armailhac und Lynch Bages, beide 17 Punkte. Lynch Bages wirkte männlich markant, aber mit gut eingebundenen Tanninen, die alles umschließen aber nicht erwürgen. Der Abgang war ausgesprochen lang, allein die leicht alkoholische Nase hat mich ein wenig gestört. D’Armailhac, vom Aufbau ähnlich wie Pichon Baron, ein paar röstige Noten mehr und etwas mineralisch-knackiger.

Im weiteren Feld folgten Lynch-Moussas (Tannine waren etwas trocken, aber nicht stumpf, sonst sehr gelungen in seiner modernen Art; 16,5/20), Grand Puy Ducasse und Clerc Milon, beide mit 16 Punkten.

Enttäuschend wurde von allen Pichon Comtesse empfunden; die Dame wirkte etwas verschnürt und kraftlos, schade. (16/20).

3. Im Anschluss folgte ein illustres Mittagsmahl auf Pichon Baron. Vor dem Essen gab es nochmal die komplette Range zu Verkosten (Pibran, Tourelles de Pichon Baron, wie erwähnt den Baron nochmal, Petit Village samt Zweitwein und final die drei Weine von Suduiraut – alle natürlich 2015. Der Erstwein von Suduiraut machte eine sehr gute Figur).

4. Da wir am Vormittag die Pflicht für diesen Tag erfüllt hatten, folgte nun die Kür in Form diverser Chateaubesuche.

Den Anfang macht Pontet-Canet. Die, nennen wir es mal etwas spöttisch, Verkaufsveranstaltung, die hier geboten wird, verliert trotz Wiederholung nichts von ihrem grotesken Ablauf und weckt jährlich Fluchtinstinkte in mir. Man betritt ein hübsches Chateau, empfangen von jungen Damen in schrumpfschlauchartiger Kleidung. Nachdem die Legitimität des Verkostungstermins geprüft wurde, führt die junge Dame die Verkostungswilligen durch den Keller, vorbei an den bekannten Betoneiern, Treppe hoch und die Verkostergruppe findet sich in einem 300qm großen Raum, bei dessen Gestaltung auf alles verzichtet wurde – von drei Glastischen abgesehen. Der Raum bietet einen schönen Ausblick auf ein Stück Weinberg, durch dass sich – ich fühle mich immer an eine Modelleisenbahn erinnert – ein Pferd samt Pflug einsam seine Bahnen durch die Reben zieht; biodynamisches Idyll. Die junge Dame, die uns bis hierher geleitet hat, zieht sich zurück und die Gruppe wird am Tisch von jemandem aus der Familie Tesseron, den Besitzern, übernommen. Dieses Jahr war Mr. Tesseron an der Reihe, sprich der Seniorchef. Das junge Mädel von vorhin bringt irgendwo aus dem Hintergrund eine halbe Flasche des aktuellen Jahrgangs (komplett etikettiert, versteht sich), entkorkt diese und übergibt sie dem Herrn und Meister, der sich eilfertig daran macht, das Fläschlein in einen Dekanter umzufüllen. Die junge Dame tritt ab.

Mr. Tesseron gibt sich launigen Kommentaren hin – klar, der arme Mann muss auch 3 Tage lang die gleichen Fragen beantworten: „Was ist Ihre generelle Einschätzung des Jahrgangs?“ – „Well, you are the judge…“. Gut, also nochmal auf Anfang. Pontet ist inzwischen seit 10 Jahren auf Biodyn umgestellt, die Reben kommen jedes Jahr besser mit den Gegebenheiten zurecht und reifen sehr früh. Wetter war super und überhaupt sind die Jahrgänge mit einer 5 am Schluss in Bordeaux immer „splendid“, sagt der Hausherr. Gegenfrage: „2009 und 2010 waren auch sehr gut auf Pontet, wie würden Sie 2015 im Vergleich zu diesen beiden sehen, Mr. Tesseron?“ „Ja, die waren beide nicht schlecht, aber von meiner Warte war 2015 das beste Jahr, das ich je produziert habe.“ Es kehrt betretenes Schweigen und Kopfkratzen in die Runde, der Hausherr gibt nochmal die Möglichkeit, offene Fragen zu klären, alle notieren eifrig in Ihre Büchlein. Keine Fragen mehr. Aus dem Hintergrund tritt erneut die junge Dame und führt die Gruppe, diesmal durch den Fasskeller, wieder hinaus ins Tageslicht. Vielen Dank für Ihren Besuch…und in mir löst sich eine Verspannung, die ich das letzte Mal spürte, als ich unvorbereitet im Matheunterricht an die Tafel musste.

Nun, der Wein: die Nase ist straff und leicht animalisch. Auf der Zunge wirkt der 15er Pontet wollüstig, warm und süß (ich meine wirklich keine der Hostessen), insgesamt eher wuchtig und mit reizenden Würznoten bis in den Abgang hinein. Alles in allem etwas kurz und final etwas überstürzt. Von mir 16,5/20 Punkten.

5. An Lafite vorbei geht es den Hügel hinauf zu Cos d’Estournel. Dunkles Holz, Ledersessel, Elefantenfiguren und pagodenartiges Wandgesimms – alles ein bisschen wie in Sherlock Holmes‘ Opiumhöhle, aber nicht ungemütlich. Von der harten Arbeit ist alles durch Glas getrennt, man sieht riesige Inox-Fermenter, auf Hochglanz poliert. Die Mitreisenden, die zum ersten Mal hier sind, sind durchaus beeindruckt - für mich war allenthalben neu, dass vor dem Chateau jetzt sogar die Buchse in Elefantenform gebracht werden.

Die Weine: Cos produziert 3 Rote und einen Weißen. Den Reigen beginnt bei Goulée. Goulée ist kein Drittwein im eigentlichen Sinne, er entstammt einem Flecken sehr weit nördlich im Medoc, hat also mit St. Estèphe nichts mehr zu tun. Die älteren Jahrgänge, die ich davon kenne, waren an sich immer gut, kein allzu hoher Anspruch, aber ausgefeilter Trinkspaß. So ähnlich präsentiert sich auch der 2015er: die Nase etwas verhalten, dennoch würzig nach Pfeffer und Anis. Auf der Zunge greift der Wein mit süßer Frucht an, zieht sich pfeffrig und gut kalibriert durch den Gaumen und bleibt im Abgang gut haften. Moderner Stil, unkompliziert - hat mir gefallen: 16,5/20.

Der Zweitwein, Pagodes de Cos, zeigt eine vielfältig, stoffige Nase, die Lust auf den Wein macht. Im Mund rund und sanft, mit exotischen Noten, aber irgendwie wirkt er glatt und ungriffig. Zwar brilliert das Geschmacksbild mit einem hübschen Retrogout, bleibt aber im Ganzen etwas unbeeindruckend. 16/20.

Der Grand Vin: In der Nase dunkelfruchtig nach Cassis und Sauerkirsche. Das Tannin, das sich auf der Zunge zeigt ist recht straff, aber reif, das Herz ist kräftig genug, um sich auf Dauer damit zu verbinden. Der Körper wirkt stabil und etwas trutzig, aber nicht unelegant. Von mittlerer Länge, derzeit im Abgang etwas vom Tannin ausgebremst. Wird werden…17,5/20

6. Rein in’s Auto, den Berg runter rollen, rechts abbiegen: Willkommen auf Chateau Lafite. Ich war 2013 das letzte Mal hier zur Verkostung, seinerzeit noch in einem Kaminstübchen, heuer im neu geschaffenen Verkostungsraum, oberhalb des Schlosses: nüchtern, klar, edel. Nebenbei erwähnt, wurde das Gerücht gestreut, dass die Erstgewächse dieses Jahr wohl um die 450EUR ex Chateau auf den Markt kommen werden – sprich für den Endverbraucher dann bei 650-700EUR. Nun dann…

Zur Verkostung standen Duhart Milon, Carruades de Lafite und Lafite an sich an.

Duhart-Milon: In der Nase etwas bonbonhaft. Auf der Zunge rund, geschliffen, aber auch etwas harmlos, mit schönem Herz, Tannin umrahmt, nicht versperrt. Fazit: gut gemacht, mir etwas zu gebügelt.

Der Zweitwein – Carruades de Lafite: Tiefpurpur im Glas, in der Nase ernsthaft, subtile Noten nach altem Kirchengebälk. Auf der Zunge dominant und "raumgreifend", aber nicht stürmisch. Von guter Länge, bildschöner Mittelbau, würziger Abgang mit etwas Blaubeere. Alles noch nicht so richtig in der Mitte aber herrliche Ansätze. (17,5/20)

Last but not least, Lafite: Vorab sei gesagt, für mich einer der besten Weine des Jahrgangs, allein wie der junge Hüpfer im Glas aufging und innerhalb einiger Minuten prachtvoll aufblühte, war groß. Alles wirkt erhaben, dennoch elegant und feingliedrig, an einem Stück, wie für einander gemacht. Auch wenn es nicht so romantisch klingen mag, aber es war wie ein Güterzug voller verschiedener Früchte, der gewaltig aber nicht bedrohlich über den Gaumen rollt. Herrlich und 19,5 Punkte wert.

So gestimmt, auf zum letzten Programmpunkt für heute – auch ein wenig einer meiner Lieblinge, weil so herrlich anders in allem: Ducru Beaucaillou.

7. Mr. Borie, der Hausherr von Durcru hat ja schon immer den Faible für Pomp. Das Chateau, etwas unterhalb der D2, komplett beflaggt, von China bis Schottland. Vor dem Eingang wird der Wartende mit einem kleinen Buffet in Zaum gehalten, die Hostessen sind wie meist die schönsten in ganz Cabernetland – ich schweife ab…

Durch den kerzenlichterleuchteten Keller blickend, wird das Auge von einer dribbelnden Neon-Basketballfigur gefangen und Verkostungswillige kann nur schwer dem Impuls widerstehen, nicht Richtung blickendem Michael Jordan zu laufen, sondern vorher abzubiegen und den Verkostungsraum zu betreten. Dieser wiederrum hat etwas von einer U-Bahnröhre – alles ist rund und irgendwie eng. In der Mitte stehen große dauerdurchspühlte Porzelantröge, die als Spucknäpfe gelten. Kein Platz zum Schreiben, aber viel Raum für illustre Zielübungen.

Die Verkostung wird, eingedenk dieser ganzen Witzigkeiten im Vorfeld, von einer wahren "Konterkarikatur" geführt: wettergegerbt, kaum noch Zähne und einen übelsten südfranzösischen Dialekt an den Tag legend. Sei‘s drum, auf Ducru Beaucaillou hat zwischen Mick Jagger und Frankenstein alles Platz.

Verkostet wurden alle drei Weine des Weinguts. Es wird von Jahr zu Jahr wieder betont, dass es sich nicht um Erst-, Zweit- und Drittwein handelt, sondern alle eigene Terroirs repräsentieren. Die boriesche Stilistik zieht sich hingegen durch alle 3 Weine.

Lalande Borie: der Kleinste im Bunde, reif, fruchtgetrieben, aber nicht zu breit und oder gar langweilig, durch die gelungene Säure anhaltend frisch, von mittlerer Länge, Aniswürze und ein Gesamtkörper der fast ins cremige geht. (15,5/20)

Croix Beaucaillou: Das ist dann die Sache mit Mick Jagger – seine Tochter hat das Etikett gestaltet und es wird schon gern nochmal darauf hingewiesen. Der Wein ist dicht, mollig, poppig, jugendlich agil, eine Spur zu kurz und zu alkoholisch für meinen Geschmack. (16/20)

Ducru Beaucaillou: der Wein avancierte bei ein / zwei Mitreisenden schnell zum Liebling, war auch wirklich gut, aber eher so die parkerisierte Bordeauxvariante. In der Nase kirschige Würze. Auf dem Gaumen dicht, elegant, frisch – alle Komponenten vorhanden und in guter Harmonie miteinander verbunden. Für meine Sicht der Dinge etwas zu wuchtig und soft; pH 3,89 und IPT von 75, ich habe etwas Sorge was die Haltbarkeit angeht. Aber ohne Zweifel einer der besten St. Julien des Jahrgangs (18/20)

Jörg Ilgen - 14.04.16

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