Bordeaux 2015 – eine Jahrgangsbetrachtung mit zwinkerndem Auge (Tag 3)

22.04.2016

Messen > Bordeaux en primeur

Spazierfahrt durch die Appellationen – Donnerstag, 07. April 2015 – Margaux, Graves und Pessac- Leognan

1. Der Tag versprach abermals vielversprechend zu werden: erster Termin auf Chateau Margaux. Ohne Zweifel sicher ein Höhepunkt eines jeden Jahrgangs; zusätzlich wurde der AOC Margaux in diesem Jahrgang ein meteorologischer Bonus zugesprochen. Der Empfang fand in diesem Jahr in der neuerrichteten „Kelterhalle“, wenn man es so nennen mag, statt – letztes Jahr wurde er noch in der Orangerie ausgerichtet – nüchtern, aber edelschick für eine an sich profane Örtlichkeit.

Vorab sei noch erwähnt: Paul Pontallier, der Fixstern auf Chateau Margaux seit 1982, ist kurz vor der Primeurwoche verstorben. Er hat aber wohl – so wurde berichtet – noch aktiv am 2015er Jahrgang mitgearbeitet. Paul Pontallier ist sicher als einer der großen Strippenzieher der letzten 3 Jahrzehnte in Bordeaux zu bezeichnen und hat wohl maßgeblich zum heutigen Ruhm von Chateau Margaux beigetragen. Bereits im letzten Jahr wurden die en Primeur Verkostungen allerdings von seinem Sohn geleitet, es scheint, hier wurde langfristig vorbereitet. Dem 2015er Jahrgangsbericht wurde eilig ein Nachruf auf Pontallier beigelegt.

The Show must go on – so schien es ein wenig, denn die Stimmung beim Empfang war dennoch aufgeräumt - fast fröhlich - und die Verkostungswilligen in anglo- bzw. frankophile Verkoster aufgeteilt. Beim Vergleich der beiden Vorträge viel hinterher auf, dass die Texte gut einstudiert waren und beiden Gruppen der gleiche Text vorgetragen wurde – there is no biz like showbiz.

Zu den Weinen: verkostet wurden die üblichen Drei: Pavillon Rouge, Chateau Margaux und Pavillon Blanc.

Pavillon Rouge: In der Nase würzig, pfeffrig, etwas Anis und Lakritz. Auf der Zunge dicht, komplex, geradlinig. Würzige Sauerkirsche, feine Säure, sehr lang, vielschichtig, fein mineralisch, dabei sehr elegant und mit sanftem Tannin. (17/20). Amüsierend war die Aussage, wie gesagt, in beiden Vorträgen gleichermaßen geäußert, eine englische Journalistin hätte kürzlich bekundet, der Zweitwein sei heute so gut, wie 1985 der Erstwein. Nun, ich mag solche Aussagen ja von Herzen, schwer nachprüfbar, mit astrologischem Unterton und in sich gewagt. Diese Kombination wurde meinerseits mit unangenehmem Auffallen durch Prusten quittiert – die Strafe folgte durch Pullibekleckern auf den Fuße.

Le Grand Vin du Chateau Margaux. Die Stilistik unterscheidet sich ein wenig, verglichen mit den Vorjahren: nicht mehr ganz so burgundisch feminin, etwas stabiler, muskulöser und kompakter aufgesetzt, auch ein wenig verschlossener. In der Nase zarte Kräuter- und Beerennoten, etwas Paprika. Am Gaumen die bekannt brillante Balance zwischen Holz, Tannin, Säure und Frucht zeigend, mittelschwer, sehr gut Länge, reife Sauerkirsche auch hier; allein zum Ende hin etwas stumpf. Nichts worum man sich Sorgen machen müsste, aber, wie gesagt, ein wenig überraschend. (18,5/20)

Pavillon Blanc: in der einleitenden Rede wurde erwähnt, man würde Pavillon Blanc zu Blanc de Chateau Margaux umbenennen, im Verkostungsbüchlein wird er aber weiterhin als Pavillon Blanc geführt; das vorab.

Den reinsortigen Sauvignon blanc empfand ich in der Nase wohlwollend, frische Zitrusaromen, leichter Holzeinschlag, typischer Holunderschleier, abgesteckt mit sensiblen floralen Akzenten. Schon eine Klasse für sich…soweit. Im Mund leider nicht ganz so edel, eher ein wenig auf der Säure verhangen, was in diesem warmen Jahr eher wundert, dicht und eben frisch, dabei eher von schlanker Statur aber dennoch mit ausgeprägter Länge. Ich vermisse die Außergewöhnlichkeit. (16,5/20)

2. Weiter zur UGC-Margaux auf Chateau du Tertre, relativ gesehen weit im Landesinneren. Ein Regenguss überrascht uns und die Wiese, auf der provisorisch der Parkplatz errichtet wurde, ist ein rechtes Schlammloch. Wir wären nicht in Bordeaux, wenn Chateau die Tertre nicht angemessen reagiert hätte: vor dem Eingang wurden zwei junge Männer mit Bürsten postiert, die eilfertig ihre Schuhputzdienste anboten. Mir ist sowas ja urpeinlich und meine Schuhe waren zum Glück nicht bedürftig.

Die Verkostung im Fasskeller. Die Top-Drei: Brane-Cantenac, Desmirail, Giscours, alle drei in der 16,5-17-Punkte-Liga, die ersten beiden in der Nachverkostung eher mit Tendenz nach oben. Gefolgt von Monbrison und Ferriere (16/20), beide ebenfalls in der Nachverkostung noch eine Spur besser. Enttäuschend hingegen Lascombes, Malescot Saint Exupery, Marquis de Terme und die zwei Rauzans; alle zwischen 13 und 14,5 Punkten. Und da war sie wieder, vielleicht nicht ganz so deutlich wie in vorangegangenen Appellationen: die Theorie der zweiten Garde. Im Gesamten waren die Vorschusslorbeeren für Margaux aber wohl nicht unangebracht.

Beim Verlassen von du Tertre – wo auch immer man sich dort die Schuhe hätte schmutzig machen können: wieder die Jungs mit den Bürsten, wieder peinlich betreten genuscheltes „Non, merci!“

3. Die nächste UGC: Pessac Leognan und Graves auf Chateau Malartic – gut eine Stunde Autofahrt von Margaux entfernt. Vielleicht bedingt durch die in Frankreich nicht unheilige Mittagszeit, fanden wir die Verkostungsräume fast völlig verlassen – definitiv mehr Aussteller als Verkoster. An sich ein wünschenswerter Zustand, so kommt man schnell vorwärts. Dennoch irgendwie beklemmend. Aus vorrangegangenen Jahren kannte man die Verkostungen eher im Sardinendosenmodus; aber wie gesagt, die Not, mit weitspuckgeübten Asiaten um einen Spucknapf zu konkurrieren, hat nicht gefehlt.

Der Reigen begann mit den Rotweinen aus dem Graves: überschaubare Anzahl von drei Chateaux, ein eindeutiger Gewinner: Chateau de Chantegrive mit 16/20 Punkten. Schöne fleischig-fruchtige Nase. Am Gaumen saftig, mit gut gemachten und ebenso eingebundenen Tanninen, schöner Schliff und über die ganze, nicht unerhebliche Länge von sehr guter Stringenz. In der Nachverkostung gleich bewertet. Die übrigen Weine des Graves blieben allerdings deutlich dahinter zurück.

Auch wenn es nicht der verkosteten Reihenfolge entspricht, so gleich die Weissweine im Anschluss: leider nein; allen fehlte es an Spannung, entweder wirkten sie plump und reizlos oder dünn und flach. Bis hierher ist Bordeaux 2015 kein Weissweinjahr.

Die Weine aus Pessac-Leognan, in der Anzahl deutlich erheblicher, die Qualität wie sich zeigen wird, ebenfalls und das in einem sehr homogenen Umfang. Insgesamt darf ich vorab sagen, dass die Pessac-Probe die homogenste von allen UGC-Verkostungen war. Die Rotweine sind über weite Strecken gut bis sehr gut gelungen, dabei nicht so heißgelaufen, wie viele St.-Emilions, aber auch nicht so kraftlos wie einige im Medoc. Die Sieger: Domaine de Chevalier und Chateau Olivier, beide mit 17 Punkten. Müsste man aus beiden den „Siegersieger“ wählen, wäre das für mich Chevalier, der in der Nachverkostung nochmals zulegte und mit seiner zarten und dennoch nachhaltigen Eleganz begeisterte. Die süße Cabernet-Frucht fühlte sich im Holz fein gekleidet und getragen, alle Komponenten am rechten Fleck und im richtigen Verhältnis. Olivier bleibt da mit seiner frischen, rotfruchtigen Art etwas zurück. Diese ist zwar dicht gefügt und bleibt frisch bis in den Abgang stehen, ist aber nicht von so kraftvoller Eleganz. In der Nachverkostung, empfand ich Chateau Olivier leider auch etwas schwächer.

Es folgten mit 16-16,5 Punkten Fieuzal, Larrivet Haut-Brion, Malartic-Lagraviere; dahinter eine recht große Anzahl von Weinen zwischen 15,5 und 15 Punkten. Enttäuschend, auch vor dem Hintergrund des superben Ergebnisses im Jahrgang 2014, war für mich Les Carmes Haut-Brion, da wollte man wohl zu viel: dicht und konzentriert, aber eben über das gesunde Maß hinaus extrahiert. Schade.

Angesichts des bisherigen Preisniveaus könnte man im Pessac, nun, vielleicht nicht gerade Schnäppchen, aber doch vergleichsweiße viel Genuss zu normalem Preis erwarten.

Ebenfalls in die Kategorie „Schade“ fallen viele Weißwein aus dem Pessac. Sieger mit immerhin 16,5 Punkten ebenfalls Domaine de Chevalier. Warme, runde, vielversprechende Nase. Am Gaumen werden Mineralik und Säure gut von einer fruchtigen Süße getragen. Der Gesamteindruck ist dicht und lang, fordernd und solide. Chevalier hat es also geschafft, zwei gelungene Weine zu vinifizieren.

Dahinter folgt noch Haut-Bergey Blanc; einen Wein, den man auch selten auf der Liste hat und dessen zugedachte 16 Punkte eher aus eine völlig außergewöhnlich exotischen Aromatik heraus resultieren. Er ist ungewöhnlich süß, nahe an zu süß, wird aber von einer frischen, wohl dosierten Säure getragen – sprich: ein „Der hat was“-Wein.

Mit 15,5 Punkten noch Fieuzal und Chateau de France und der Rest leider weit abgeschlagen und wenig empfehlenswert.

Und dann fanden damit die drei lustigen Tage an der Gironde ihren Abschluss und meine Zahnfee freut sich wie jedes Jahr auf eine professionelle Zahnreinigung der groben Art; denn wenn die Weine in jedem etwas gemein haben, so ist es ihre stark färbende Wirkung auf den Zahnzwischenraum.

Jörg Ilgen - 14.04.16

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