Languedoc und Vinitaly 2019

25.04.2019

Wein-Bastion unterwegs > Frankreich

Eine kleine Wein-Odyssee

vom Atlantik über das Mittelmeer hin zum Gardasee - Von Robert Niemetz

Es ist jetzt schon wieder ein paar Tage her, dass wir von unserer zweiwöchigen Tour in Sachen Wein zurück sind, doch leider komme ich erst jetzt dazu, darüber zu berichten. Als „Ausrede“ nur so viel: es ist die Jahreszeit in der Weinwelt, die mit vielen Jahrgangswechseln und Neuheiten verbunden ist, dazu kam das Ostergeschäft, dass auch viel Aufmerksamkeit in Anspruch nahm. Und das sorgt in Kombination für andere Prioritäten. Aber jetzt ist genug mit den Rechtfertigungen!
Hin zur Berichterstattung:

Es war Anfang April und wir brachen auf, um über zwei Wochen hinweg auf unserem Weg durch Frankreich und Italien einiges Neues kennenzulernen. Das erste Ziel: die En Primeur-Verkostung im Bordeaux. Über fünf Tage lang hatten die Châteaux und die UGCs (Union des Grands Crus) zur Verkostung des Jahrgangs 2018 geladen. Da an dieser Stelle schon ein Bericht von Jörg Ilgen zu der Beurteilung der einzelnen Weine geschrieben wurde, will ich dazu auch nicht mehr viele Worte verlieren, sondern einfach nur ein paar subjektive Eindrücke meinerseits zu dieser recht exklusiven Veranstaltung schildern. Immerhin war ich das erste Mal bei der en primeur dabei. HIER ÜBER EN PRIMEUR WEITERLESEN

Languedoc und Vinitaly:

Nach den en primeur Verkostungen packten wir unsere Koffer und machten uns auf den Weg ans Mittelmeer. Im Languedoc bei Mas de Daumas Gassac erwartete uns ein Kontrastprogramm zum total durchorganisierten Bordeaux. Wenn man sagen kann, dass im Bordeaux nichts dem Zufall überlassen wird, der Prozess von vorne bis hinten durchgeplant ist, jeder Arbeitsschritt genauer Kontrolle unterliegt und der Präzision fast alles untergeordnet ist, dann wird bei den Südfranzosen viel laissez-faire betrieben.
Ein künstlerischer Vergleich: Man könnte das Bordeaux als die Sixtinische Kapelle des Michelangelos bezeichnen. Rebzeilen im LanguedocJeder Pinselstrich ist genau gesetzt, alle Details sind auch im Einzelnen zu erkennen. Die Arbeit von Daumas de Gassac gleicht eher einem impressionistischen Werk von Monet: die einzelnen Pinselstriche geben nicht viel her, erst wenn man zurücktritt und sich das Gesamtbild anschaut, bekommt man Kontext und Verständnis.
Was heißt das genau? Schaut man sich die einzelnen Parzellen an, dann ist das Bordeaux von puristischer, sortenreiner Geradlinigkeit geprägt, während bei Gassac alles in allem 80 verschiedene Rebsorten sehr verstreut in den Parzellen stehen und dabei selten komplett sortenrein angebaut wird. Einzelne Parzellen werden z.B.: von Cabernet Sauvignon dominiert, aber es gibt immer einige Rebzeilen, die von einer oder mehreren anderen Rebsorten eingenommen werden. Die Parzellen werden immer noch getrennt voneinander vinifiziert, aber ein bisschen „gemischter Satz“ ist dann halt doch dabei. Aber um wieder das Gesamtbild zu erreichen, wird dann nach der Lagerung richtig cuvéetiert, damit man in den Genuss von hoher Kunst kommt. Ein erfrischender Ansatz nach dem geradlinigen, ganz klar definierten Bordeaux!

Alex, der Betriebsleiter und Victorine, die Marketing-Chefin, gaben uns eine Führung über das Landgut, erklärten uns die Philosophie von Nachhaltigkeit und dem ökologischen Weinbau der hier betrieben wird, zeigten uns den alten Keller und ließen uns die aktuellen sowie alte Jahrgänge ihrer Weine verkosten. Hier ganz weit vorne: der Rouge 1998.
Einmal alles, bitte! In Zukunft ist geplant, in den „Mischparzellen“ auch Bäume zu pflanzen. Schafe sind schon unterwegs, brauchen aber noch einen Schäfer. Also, wer sich berufen fühlt! Die Gegend um Aniane ist ein wirklich schöner Landstrich, Mas de Daumas Gassac ein wunderbares Gehöft mit herrlichen, authentischen Menschen! Auch hier kann man nur sagen: gerne wieder! Ein wenig ist die Zeit hier schon stehen geblieben und der ganze Ort verströmt etwas Romantisches. Aber gleichzeitig sieht und spürt man die Arbeit und die Überzeugung, die hier am Werk ist.

Wir verabschiedeten uns, stiegen ein und fuhren nach Cassis, um eine Nacht an der Mittelmeerküste zu verbringen. Tags darauf fuhren wir dann weiter an den Gardasee zur letzte Etappe unserer Reise: die Vinitaly in Verona, Italiens größte Weinmesse!
In Verona bewegte ich mich wieder auf bekanntem Terrain, denn hier war ich schon mehrfach. Am Samstagabend kamen wir in Lazise am Gardasee an und bezogen dort unser Quartier für die Messezeit. Unser Kollege Jörg Bäuerle traf uns dort. Er war direkt aus Ulm angereist, um das Team in Verona zu verstärken. Nach einer kurzen Besprechung des anstehenden Programms ging es dann aber auch schon ins Bett. Die nächsten Tage würden noch mal happig werden.

Erster Tag - Sonntag

Der Tag begann mit einem früh gestellten Wecker, einem guten Frühstück und dann ging es ab ins Taxi nach Verona. Wer darf hinein?Und gleich hier eine kleine Erklärung zur Individualität dieser Messe: wir teilten uns das Taxi mit einem deutschen Pärchen, das jedes Jahr die Vinitaly besucht, um Weihnachtsgeschenke für ihre Geschäftskunden auszusuchen. Er ist Leiter eines Ingenieurbüros. Warum erwähne ich das? Um darauf aufmerksam zu machen, dass die Vinitaly keine reine Fachbesuchermesse ist, sondern auch Privatleuten Zutritt gewährt. Sprich: auch wenn sie nicht ganz offiziell öffentlich ist, kann prinzipiell jeder diese Messe besuchen, wenn er sich akkreditiert. Was dann aber auch heißt, dass die Hallen und die Stände von Personen belagert werden, die einfach nur viel Wein trinken wollen. Das macht diese Messe aus der Sicht des professionellen Verkosters intensiv und anstrengend.
Auch den Ausstellern ist diese Eigenheit bewusst. Deshalb sind die Stände so aufgebaut, dass man in der „ersten Linie“ von Absperrbändern, Zäunen, Tischen oder sonstigen Hindernissen aufgehalten wird und man erst mit dem Überreichen der Visitenkarten Einlass in das Innere des Messestandes erhält. Doch dann ist der Empfang meist herzlich italienisch, man bekommt immer eine kleine Platte mit Antipasti zu den verkosteten Weinen. Äußerst sympathisch, die Aussteller auf der Prowein könnten sich hier eine Scheibe abschneiden.
Ein bunter Reigen Rotwein Man muss sich dank des öffentlichen Andrangs schon durch die Gänge kämpfen, um an den Stand des Verlangens zu kommen.Die Vertikale bei Falchini Vor allem nachmittags wird es dann mit den nicht mehr ganz nüchternen Co-Verkostern dann noch schwieriger. Aber nichtsdestotrotz bekommt man einen wunderbaren und tiefen Einblick in die verschiedenen Jahrgänge der italienischen Weine und kann sich ganz gut mit den Menschen dahinter auseinandersetzen. Hier kann man nach dem ersten Tag schon eins sagen: die Rotweine des Jahrgangs 2016 aus dem Norden Italiens, vor allem Toskana und Piemont, zeichnen sich durch Eleganz, Tiefe und Komplexität aus. Wirklich ein tolles Jahr! Hier haben vor allem der Siepi Rosso von Marchesi Mazzei oder auch der Ai Suma von Braida (noch nicht bei uns im Haus, aber die anderen Weine der Azienda Agricola Braida sind auch toll) beeindruckt. Ein weiteres Highlight war sicherlich der Besuch bei Falchini, denn da kann man die Campora-Linie bis ins Jahr 1999 hinunter verkosten. Wir beendeten den Tag nach einem wirklich straffen, aber erfolgreich durchgezogenen Programm und begaben uns ins Hotel an den Gardasee.


Zweiter Tag - Montag

Auch der zweite Tag bescherte uns eine Taxifahrt mit „Unprofessionellen“, die Hallen waren von Anfang an dicht gefüllt. Das hielt uns nicht auf, wir hatten einen Plan und den zogen wir auch durch: ein Stand nach dem anderen wurde intensiv abgearbeitet, viele Hände wurden geschüttelt und wir verschafften uns einen nachhaltigeren Eindruck über die neuen Jahrgänge der Weingüter in unserem Sortiment, aber auch Einblicke in das Portfolio uns unbekannte Betriebe.

So werden wir in Zukunft auch die Weine von Perticaia aus Umbrien in unserem Sortiment begrüßen dürfen. Der Abend dieses Tages hatte eine Besonderheit für uns in petto. Wir waren vom Weingut Tedeschi in die Altstadt Veronas ins Restaurant Antica Bottega del Vini eingeladen. Antipasti bei Perticaia Jedem Wein- und Kulinarikliebhaber schlägt das Herz höher in diesem Restaurant der Extraklasse! Die Weinkarte ist so groß wie ein Atlas! Abgesehen von diesem Bonbon von Seiten unseres Gastgebers, bekamen wir auch einen Einblick in das Leben der Stadt während dieser Messe. Es war in allen Straßen, in allen Kneipen und Restaurants richtig was los, die ganze Stadt war auf den Beinen.

Nachdem ich zu meinem Tischnachbarn sagte, dass die Stadt wirke wie Köln oder Düsseldorf am Rosenmontag, sagte er zu mir, dass dieser Vergleich nicht so falsch sei. Ganz Verona freue sich Jahr für Jahr auf die Vinitaly und auf all die Nebenschauplätze in der Stadt, die die Messe mit sich bringt. So kann man schon sagen, dass die ganze Stadt einer riesigen Party glich, der einzige Unterschied zum Karneval, war das Fehlen von Verkleidungen.
Aber auch dieser formidable Abend ging zu Ende und unser Gastgeber, Ricardo Tedeschi, fuhr uns freundlicherweise zurück zu unserem Hotel, wo wir todmüde ins Bett fielen.

Die Abreise

Der nächste Tag brachte uns nach all den arbeitsreichen Tagen ein wenig Entspannung an den Ufern des Gardasees. Bei Espresso und Antipasti genossen wir den Ausblick, bevor wir uns auf den Heimweg machten. Nach mehr als 3000km im Auto, die uns in verschiedene Ecken Europas führten, mehr als 400 verkosteten Weinen, Begegnungen mit den vielen interessanten Menschen, die hinter dem Wein stehen und vielen Eindrücken und Erlebnissen, kann man nur immer wieder sagen, dass die Weinwelt eine tolle Welt ist! Und ich bin dankbar, ein Teil davon zu sein!
Nun können wir uns auf den Zeitpunkt der Ankunft all dieser neuen Jahrgänge in der Bastion freuen!

Bordeaux - die zweite Sicht der Dinge

Das Bordeaux ist immerhin das Weinbaugebiet mit dem weltweit größten Prestige und mit den teuersten und besten Weinen der Welt. Daher ist der Auftritt der einzelnen Weingüter auch mit keinem anderen dieser Welt zu vergleichen. Man gibt sich bei den großen Namen der Branche ordentlich Mühe, dem Ruf und der Klasse gerecht zu werden. Cos dEstournel Alle Châteaux sind herausgeputzt, die Parkanlagen bis zum letzten Grashalm gepflegt und durchgestylt und natürlich kommt man ohne Akkreditierung nirgendwo rein. Also alles sehr gehoben und exklusiv, aber auch zum Teil etwas schnöselig. Hier und da war man auch um persönlichen, wenn nicht sogar herzlichen Kontakt bemüht. Hier sticht wohl Cos d’Estournel hervor. Übrigens ein grandioses Château im Stil eines Maharadscha-Palastes konzipiert. Cos d'Estournel Natürlich sind dies bezüglich die kleineren, nicht ganz so bekannten Häuser ebenfalls erwähnenswert, z.B.: Guillot Clauzel. Als Gegenbeispiel könnte man Mouton-Rothschild anführen, wo alles recht förmlich und unpersönlich ablief, und man alles in allem den Eindruck hatte, nur halbwegs geduldet zu sein. Zu ihrer Verteidigung: die Weine sind grandios und jeder, wirklich jeder, will sie verkosten, was auch zu Gedränge führt. Aber ich presche in Bezug auf die Stringenz der Erzählung zu weit nach vorne. Also erst einmal ein paar grundlegende Dinge: anders als bei einer große Messe, sind die en primeur Verkostungen nicht zentral organisiert. Man tingelt durch die Appellationen um die Stadt Bordeaux und besucht die einzelnen Schlösser separat, probiert dort die zwei bis vier Weine, die dort produziert werden, und fährt zum nächsten Château. Geballte Verkostungen werden von den einzelnen UGCs Viel Wein-viel Ehr oder den sogenannten Négociants (= die Händler, die die Weine in Umlauf bringen) auf wechselnden Châteaux angeboten; dort kann man im Stil einer Messe alle Produzenten dieser Appellation auf einmal verkosten (wobei hier auch nicht alle Mitglieder vertreten sind). Beides hat seine Vorteile: auf den Châteaux ist man ein wenig privater und konzentrierter, auf den UGCs hat man den geballten Überblick.
So begannen wir den Tag mit dem obligatorischen reichhaltigen Frühstück und gingen den jeweiligen Tagesplan durch: wann müssen wir wo sein, um unseren vom Château vorgegebenen Termin wahrzunehmen, aber dennoch genügend Zeit zu haben, um auch die „Masse“ abzudecken. Die Hälfte der Zeit verbringt man sicherlich im Auto. Das Schöne bei der ganzen Fahrerei (im Gegensatz zu den doch sehr sterilen Messehallen): man sieht wirklich viel vom Land und der Geografie. Man bekommt einen tollen Einblick vom Terroir. Ein weiterer toller Nebeneffekt: die Stadt Bordeaux als Basis für unsere „Exkursionen“.Ich kann jeder Person, die gerne und gut isst und trinkt, einen Besuch dieser Stadt nur empfehlen. Überall tolle Restaurants, auch nicht zu teuer, mit recht ausgeprägten Weinkarten. Und auch das restliche kulturelle Angebot kann sich sehen lassen.
Aber ich springe schon wieder. Zurück zur Arbeit ;)
Wie gesagt, es war mein erstes Mal, daher habe ich mit höchster Konzentration die recht große Menge an Weinen verkostet, um ein faires, differenziertes und halbwegs objektives Urteil abgeben zu können. Und ich bin ja nicht unerfahren, habe schon viele Messen, private und öffentliche Verkostungen mitgemacht, aber das qualitative Niveau im Bordeaux ist sehr hoch, also war es alles in allem recht anstrengend. Vor allem, wenn man bedenkt, dass man durchweg Weine verkostet, die eigentlich erst in ferner Zukunft genossen werden sollten. Einzige Ausnahme: bei Château Latour gab es auch gereifte Weine zu verkosten (dieses Mal: Latour 2008, ein Wein, der Eleganz und Kraft wie kein Zweiter vereint, aber immer noch gut und gerne zehn Jahre liegen darf). die berühmtesten Kiesel der Welt Ein weiterer Faktor, der es nicht einfacher macht, ist die emotionale Subjektivität: Geschmack ist Geschmack, nicht allen gefällt dieser oder jener Wein. Spezieller meine ich damit aber auch das unweigerliche Geschwafel, dass es in unserer Branche nun mal gibt. Nüchtern betrachtet wird um so gut wie kein anderes handwerkliches Produkt so viel Mystik und Legende gesponnen wie um Wein. Und im Bordeaux bekommt man das die ganze Zeit an allen Orten ständig vor Augen (und Ohren) geführt. Natürlich bin ich auch „Täter“, aber die Intensität und das Level an Blablabla war von allen Seiten, Händlern, Mitverkostern und Produzenten, enorm. Diesen ganzen verbalen Rahmen gilt es beim verkosten auszublenden, auch damit man sich sein eigenes Geschwafel bilden kann ;)
Als Fazit muss ich festhalten, dass mich diese fünf Tage in meiner Entwicklung als Wein-Connaisseur weit gebracht haben. Aber sie haben mir auch – wieder einmal – klar gemacht, dass mir all der Hype und das Prestige persönlich nicht so viel bedeuten und manchmal eher hinderlich sind. Was den Jahrgang 2018 konkret angeht: ich befinde ihn als hochwertig, aber durchwachsen. Es gelang nur wenigen Weingütern mich tatsächlich von den Socken zu hauen. Aber das ist auch Jammern auf extrem hohem Niveau, keiner der Weine ist geradewegs durchgefallen. Aber hier verweise ich wieder auf den Bericht von Herrn Ilgen. Wir hatten alles in allem eine tolle Zeit in der Gironde, und ich freue mich auf jede weitere Gelegenheit, die besten Weine der Welt in diesem exklusiven Rahmen verkosten zu dürfen.

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